Jugend (1871–1889)

Rosa Luxemburgs Geburtsdatum ist unsicher. Ihr Geburtsschein, dem folgend ihre Heiratsurkunde und weitere Dokumente nennen den 25. Dezember 1870. In der Antwort auf einen Geburtstagsbrief zu diesem Datum schrieb sie jedoch 1907, der Schein sei erst nachträglich ausgestellt und das Datum darauf „korrigiert“ worden; tatsächlich sei sie „nicht ganz so alt“. Ihre Familie und sie selbst feierten ihren Geburtstag immer am 5. März. Für ihre Immatrikulation an der Universität Zürich gab sie 1871 als Geburtsjahr an. Daher geben neuere Biografen den 5. März 1871 als Geburtsdatum an.[3] Ihr Familienname Luxenburg wurde noch zu Lebzeiten ihres Vaters durch einen behördlichen Schreibfehler zu Luxemburg, den sie dann beibehielt. Ihren Vornamen Rosalia verkürzte sie umgangssprachlich zu Rosa.[4]

Rosa Luxemburg war das fünfte und letzte Kind des Holzhändlers Eliasz Luxenburg (1830–1900), der sich später Edward nannte, und seiner Frau Lina, geb. Löwenstein (1835–1897). Die Eltern waren Juden in der ländlichen Mittelstadt Zamość im von Russland kontrollierten Teil Polens. Sie hatte ein enges Verhältnis zu ihren Geschwistern, wie aus erhalten gebliebenen Briefen hervorgeht.[5] Die Luxenburgs waren als Landschaftsarchitekten, die Löwensteins als Rabbiner und Hebraisten nach Zamość gekommen.[6] Rosas Großvater väterlicherseits war einer der reichsten Kaufleute im Königreich Polen; einem Bruder ihrer Mutter gehörte ein Bergwerk.[7] Der Bruder ihrer Mutter, Bernard Löwenstein, war Rabbiner an der Tempel-Synagoge Lemberg.[8] Über ein Drittel der Einwohner waren polnische Juden, meist Haskala-Vertreter mit hohem Bildungsstand. Die Eltern gehörten zu keiner Religionsgemeinschaft und politischen Partei, sympathisierten aber mit der polnischen Nationalbewegung und förderten die lokale Kultur. Sie besaßen ein Haus am Rathausplatz und bescheidenen Wohlstand, den sie vor allem für die Bildung ihrer Kinder einsetzten. Die Söhne (Natan Mikolaj, Maximilian, Jozef)[5] besuchten wie der Vater höhere Schulen in Deutschland. Die Familie sprach und las zu Hause Polnisch und Deutsch, nicht Jiddisch. Besonders die Mutter vermittelte den Kindern die klassische und romantische deutsche und polnische Dichtung.[9]

Rosa erhielt eine umfassende humanistische Bildung und lernte neben Polnisch, Deutsch und Russisch auch Latein und Altgriechisch. Sie beherrschte Französisch, konnte Englisch lesen und Italienisch verstehen. Sie kannte die bedeutenden Literaturwerke Europas, rezitierte Gedichte, war eine gute Zeichnerin, interessierte sich für Botanik und Geologie, sammelte Pflanzen und Steine und liebte Musik, besonders die Oper und die Lieder von Hugo Wolf.[10] Zu ihren zeitlebens geachteten Autoren gehörte Adam Mickiewicz.[11]

Im Jahr 1873 zog die Familie nach Warschau, um Geschäftsverbindungen des Vaters zu stärken und den Töchtern bessere Bildungschancen zu bieten. 1874 wurde ein Hüftleiden der Tochter irrtümlich als Tuberkulose diagnostiziert und falsch behandelt. Dadurch blieb ihre Hüfte deformiert, sodass sie fortan leicht hinkte. Mit fünf Jahren, während der vom Arzt verordneten fast einjährigen Bettruhe, lernte sie autodidaktisch Lesen und Schreiben. Mit neun Jahren übersetzte sie deutsche Geschichten ins Polnische, schrieb Gedichte und Novellen. Mit 13 Jahren schrieb sie in polnischer Sprache ein sarkastisches Gedicht über Kaiser Wilhelm I., der damals Warschau besuchte. Darin duzte sie ihn und forderte: „Sage deinem listigen Lumpen Bismarck, Tue es für Europa, Kaiser des Westens, Befiehl ihm, daß er die Friedenshose nicht zuschanden macht.“[12]


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